uniMind|Lecture

"Wie können wir den Wachstumszwang überwinden? Wirtschaften in einer begrenzten Welt"

Univ.-Prof. Dr. Ulrich Brand
Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien  

Dr. Jürgen Schneider
Umweltbundesamt

hosted by "Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft" und der Initiative "Wachstum im Wandel"

» Die Vortragsunterlagen zum downloaden

Am 25. Jänner 2017 fanden sich rund 100 Interessierte zur ersten uniMind Lecture des aktuellen Projektjahres in der Aula am Campus ein, um gemeinsam mit den Experten Ulrich Brand und Jürgen Schneider über die Anwendbarkeit nachhaltiger und zukunftsfähiger Wirtschaftsmodelle zu diskutieren.

Nach der Eröffnungsansprache durch Martina Schuster, Leiterin der Abteilung "Energie- und Wirtschaftspolitik" im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft und Dario Unterdorfer, Projektmanager am Postgraduate Center, hob Ulrich Brand zu Beginn seines Vortrags die große Bedeutung der sogenannten "third mission", nämlich das Wirken von Universitäten in der Gesellschaft, hervor. Formate wie uniMind ermöglichen einen gleichberechtigten Austausch von Erfahrung und Wissen und binden somit verschiedene Stakeholder in gesellschaftspolitisch relevante Diskurse ein.

Ist Wohlstand ohne Wachstum möglich?

Die Tatsache, dass sich unsere Gesellschaft und unser Verständnis von Wachstum und Wohlstand ändern müssen, steht angesichts unserer "imperialen Lebensweise" und der Begrenztheit unserer Erde für Ulrich Brand außer Frage. Es geht allerdings nicht darum, dass Wachstum per se schlecht sei, es dreht sich vielmehr darum, wie wir mit dem Zwang nach Wachstum umzugehen lernen. Weniger Wachstum bedeutet nicht automatisch einen Verlust an Wohlstand. Eine Transformation des Verständnisses von Wohlstand und Lebensqualität ist gefragt.

Wichtig sei es, so Brand weiter, dass unsere Gesellschaft auf diesen Wandel vorbereitet ist. Ausschlaggebend sei ein "change by design", also ein gewollter und gesteuerter Umbau unseres Wohlstandsmodells. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme manifestieren sich in erster Linie, wenn wir auf ein Ausbleiben des Wachstums nicht vorbereitet sind. Die Auswirkungen – u.a. steigende Arbeitslosigkeit, Perspektivenlosigkeit, Passivierung der Bevölkerung – sind in vielen Ländern seit der Finanzkrise im Jahr 2008 zu beobachten. Zwar gibt es einige Konzepte, die im Zuge der Krise an Relevanz gewonnen haben, dennoch sind diese, so Brand, (noch) zu zahm. "Green Economy" beispielsweise ist zwar ein politisch gesteuertes Konzept, welches durch die Schaffung von "green jobs" und den Umbau der Industrie – von einer "braunen" hin zu einer "grünen" Industrie –  negative Auswirkungen der Krise minimieren sollen. Ulrich Brand ist jedoch der Auffassung, dass jene Konzepte zwar sinnvoll sind, nichts desto trotz immer noch das Motto: "Wachstum, Wachstum, Wachstum" im Vordergrund steht und darüber hinaus viele Konzepte schlichtweg gegebene Machtverhältnisse negieren.

Anforderungen an Unternehmen und Institutionen

Um ein neues Verständnis von Wohlstand und Lebensqualität –  welches nicht mehr der Formel: mehr Wachstum = mehr Wohlstand folgt, in dem es nicht um Verzicht, sondern um ein Umdenken geht –  in der Gesellschaft zu verankern, formulierte Ulrich Brand einige Handlungsempfehlungen an Unternehmen wie Institutionen:

  • Begrenztheit der Erde akzeptieren
  • Glaubwürdigkeit bewahren (Renditeziele anpassen)
  • Nicht nur auf Rohstoffsicherheit achten
  • Alternative Formen der Mobilität fördern
  • Industriestandort Österreich durch ökologischen Umbau stärken ("change by design")

Ein starker Staat als zentraler Akteur

Jürgen Schneider griff im Anschluss die Inhalte von Ulrich Brand auf und nahm zu diesen aus institutioneller, praktischer Perspektive Stellung. Anhand verschiedener Wachstumskurven veranschaulichte er, dass in den vergangenen Jahrzehnten in nahezu allen relevanten Bereichen (Bevölkerung, Energieverbrauch, Ressourcenverbrauch, BIP,..) exponentielles Wachstum zu verzeichnen war. Dies verdeutlicht angesichts der Begrenztheit unserer Erde die Dringlichkeit einer sozialökologischen Transformation. Für Jürgen Schneider spielt vor allem ein starker Staat die entscheidende Rolle, um solche Transformationen in Wirtschaft und Gesellschaft umzusetzen.

Mit Investitionen in alternative Formen der Mobilität, einer ökosozialen Steuerreform und der Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge soll der Staat (und seine Institutionen) diese Transformation aktiv mitgestalten. Wesentlich sei es, so Schneider, die Bevölkerung mitzunehmen. Bildung und Wissen sieht er in diesem Zusammenhang als zentrale Aspekte. Der Staat soll auch dafür Sorge tragen, dass die Experimentierfreudigkeit von Unternehmen gefördert und erhalten bleibt. Unternehmen könnten sich in Zukunft beispielsweise vermehrt von der Produktion auf Dienstleistungen konzentrieren. Als Beispiel nannte er den Energiesektor. Hier seien in letzten Jahren eine Vielzahl an erfolgreichen "Start-Ups" entstanden, die sich nicht als Energieproduzenten verstehen, sondern Dienstleistungen anbieten, die den individuellen Energieverbrauch senken.

Offene Plenumsdiskussion

Im Anschluss an die beiden Vorträge waren die TeilnehmerInnen eingeladen, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen und ihre Erfahrungen und Herausforderungen aus der Praxis einzubringen. Zentral wurde die Frage diskutiert, wie man ein neues Verständnis von Wachstum und Wohlstand in der Gesellschaft und in weiterer Folge in Unternehmen implementieren könnte. Die beiden Experten waren sich darin einig, dass man Menschen am besten mit körperlichen Ansätzen erreicht: Gesundheit, Erziehung und Ernährung seien hier zentrale Aspekte. In diesem Zusammenhang, so die beiden Experten, gelte es auch immer das jeweilige soziale Milieu mitzudenken. Für Unternehmen, die etwa ihre Produktion nach China auslagern, gelte es Verantwortung zu übernehmen und beispielsweise nur mit Firmen zusammenzuarbeiten, die soziale Standards garantieren. Ein solcher Schritt könnte auch im Rahmen von PR- oder Marketingmaßnahmen zur Positionierung von Unternehmen "genutzt" werden.

Nach der offenen Plenumsdiskussion hatten die TeilnehmerInnen die Gelegenheit, sich bei Snacks und Getränken weiter auszutauschen und zu vernetzten.