n der Praxis geht es darum,
Selbstbestimmtheit zu för
dern und die innere Motiva
tion und Neugierde von
Kindern zu nutzen. Psycho
motorik ist eine junge wissenschaftliche Dis
ziplin, die sich menschliche Bedürfnisse und
entwicklungsgeschichtliche Konstanten der
Menschwerdung zunutze macht. Der Körper
wird als Lerninstrument eingestimmt, alle
Sinne als Kanäle für die Vermittlung genutzt.
Eingesetzt werden psychomotorische Me
thoden vor allem im Bildungskontext und
im Gesundheitswesen.
Die Disziplin behandelt den Zusammenhang
von Bewegung, Sozialisation und Persönlich
keitsentwicklung. Bewegung ist der Motor für
die körperliche, geistige und soziale Entwick
lung. „Sich zu bewegen ist ein menschliches
Grundbedürfnis, das vor allem bei Kindern
sehr stark ausgeprägt ist. Deswegen sollte die
Sitzschule im Bildungswesen ein Auslauf
modell sein“, betont Sportwissenschafter
Otmar Weiß. Der wissenschaftliche Leiter des
Universitätslehrgangs „Psychomotorik“ defi
niert Lernen als Identitätsformung und Offen
heit gegenüber Neuem. Lernen umfasse – so
wie Bildung – den ganzen Menschen, sein
Empfinden und Wahrnehmen, sein Denken,
Fühlen und Handeln.
Bewegung – Beziehung –
Begeisterung
Der Prozess des Lernens passiert auf mehre
ren Ebenen. Er ist nicht nur eine kognitive
Leistung, sondern wird von Psyche und Ge
fühlen beeinflusst. Je höher Motivation und
Interesse, desto nachhaltiger wird ein Inhalt
gespeichert. „Als Kind ist jeder ein Künstler.
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competence
Ausgabe 01/18
spectrum 2
Die Schwierigkeit liegt darin, einer zu blei
ben“, zitiert Otmar Weiß Pablo Picasso. Inte
ressen und Bedürfnisse der Kinder in den
Unterricht einzubeziehen, sie abzuholen, wo
sie stehen, ihren inneren Antrieb anzukur
beln und auf ihr Wohlbefinden zu achten,
stärkt die Beziehung zwischen Lehrenden
und Lernenden. Wer Kinder für sein Fach
begeistert, verbessert die Lernerfolge. Ganz
heitliches Lernen, wie es die Psychomotorik
unterstützt, bedeutet Lerninhalte über den
Körper und mit allen Sinnen zu erfahren. So
kann Neues gut verstanden, abgespeichert
und wieder abgerufen werden. Das Sprich
wort, dass man Fahrradfahren nie verlernt,
stützt dabei die psychomotorische Erkennt
nis: Erst wenn es in den Sinnen ist, ist es
auch im Gedächtnis. Aber was ist mit den
Erwachsenen? Maria Rienößl, Kursleiterin
des Universitäts-Sportinstituts, hat vielen
Menschen neue Bewegungsmuster vermit
telt. „Hans kann lernen, was Hänschen lernt,
er braucht nur länger dazu“, macht sie auch
Spätberufenen Mut. „Wenn man eine posi
tive Einstellung mitbringt, kann man nahezu
alles lernen.“
I
Bewegungslernen in allen
Klassenzimmern
Sollen also künftig Kinder nur im Turnsaal
unterrichtet werden? Geht es nach Otmar
Weiß, kann in jedem Fach Bewegungs- und
Wahrnehmungslernen praktiziert werden.
Mit Bewegung ist nicht nur Laufen, Springen
und Klettern gemeint. Buchstaben und
Zahlen können erfahrbar gemacht werden,
etwa mit dem Körper auf- oder nachgestellt,
in der Form abgegangen oder mit verschie
denen Materialien geformt werden. Was die
Verbreitung psychomotorischer Erkennt
nisse im heimischen Bildungswesen angeht,
sieht Otmar Weiß das Fach noch im Embryo
nalzustand: „Mit dem Lehrgang hat sich die
Ausbildung hierzulande in die Pole-Position
der Professionalisierung bewegt, die Studie
rende aus dem gesamten deutschsprachigen
Raum anlockt. Unsere AbsolventInnen ver
ändern heute schon den Spirit in den
Klassenzimmern.“
Mit allen Sinnen
lernen
Wer etwas mit allen Sinnen begreift, sich selbst
bestimmt und wahrgenommen fühlt, zündet den
Turbo für effizientes Lernen. Die Psychomotorik
nützt Körper und Sinne zum Lernen, für die
Bildung und die Persönlichkeitsentwicklung.
Inhaltlicher Schwerpunkt des Uni
versitätslehrgangs „Psychomotorik“
ist effizientes Lernen mit allen Sinnen.
Die viersemestrige Weiterbildung
richtet sich vor allem an PädagogInnen,
GesundheitsexpertInnen, Psycholog-
Innen, Physio- und ErgotherapeutInnen
sowie LogopädInnen. Darüber hinaus
bietet das Universitäts-Sportinstitut
auch Weiterbildungen u. a. für Sport
kletterlehrerInnen, Mountainbike-
Guides und PilatestrainerInnen an.
Motor für
die Bildung
Wer Radfahren
lernt, braucht
mehrere Sinne
gleichzeitig.
Deswegen verlernt
man es nicht mehr.
Otmar Weiß