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competence
Ausgabe 01/18
Spectrum 1
Gemeinsam Gedanken
in Bewegung bringen
Viele Menschen gehen davon aus, dass PhilosophInnen mit
ihren Gedanken alleine sind. In der philosophischen Praxis
stehen sie jedoch als Sparring Partner für relevante Fragen
zur Verfügung – im Zwiegespräch oder in einer diskussions
freudigen Gruppe.
hilosophInnen sind trainiert
im geordneten und vertie
fenden Nachdenken über
wichtige Fragen. Dazu müs
sen sie nicht im stillen Käm
merlein oder unter Gleichgesinnten bleiben:
In der Philosophischen Praxis unterstützen sie
mit ihren Fähigkeiten andere Menschen beim
Klären ihrer Gedanken. Sie helfen, diese syste
matisch zu bearbeiten, zu analysieren, zu ord
nen, zu verfolgen, bei einer Sache zu bleiben
und über die eigenen Gedanken nachzuden
ken. Im angloamerikanischen Raum heißt die
se Dienstleistung„philosophic counseling“.
Philosophische PraktikerInnen arbeiten in
zwei Settings. Im Einzelgespräch besprechen
sie mit KlientInnen Fragen, die diese plagen.
„Ein Counselor kann anhand der langen philo
sophischen Tradition helfen, Fragen zu le
bensnahen Themen wie Liebe, Freundschaft
oder Gerechtigkeit zu beantworten“, erläutert
Donata Romizi, wissenschaftliche Koordinato
rin des Universitätslehrgangs „Philosophische
Praxis“. Der zweite Bereich ist das Philosophie
ren in der Gruppe. Es etablieren sich Formate
zum gemeinsamen Räsonieren über gesell
schaftlich und politisch relevante Fragen,
etwa das Philosophieren im Kaffeehaus oder
philosophische Wanderungen. „Für weltan
schaulichen Austausch gibt es im Alltag im
mer weniger Möglichkeiten. Aber auch heute
brauchen wir Treffpunkte, wo Menschen aus
unterschiedlichen Generationen, Schichten
oder Professionen zusammenkommen“, so
Donata Romizi. In einer Gruppe ermöglichen
philosophische PraktikerInnen gemeinsames
Sinnieren und fördern Konsens. In Firmen
oder Institutionen können sie helfen, Leit
werte gemeinsam zu definieren.
Eine beliebte Methode ist das „Sokratische
Gespräch“. Nicht zu verwechseln mit der Art,
wie Sokrates Gespräche geführt hat: „Sie en
deten vielfach damit, dass der Gesprächspart
ner verwirrter war als zuvor. Sokrates schloss
meist damit, dass er es auch nicht besser
wüsste. Das wäre frustrierend“, schmunzelt
Romizi. Für das „Sokratische Gespräch“ ha
ben Leonard Nelson und Gustav Heckmann
eher Regeln für eine Gesprächsführung de
stilliert, die im anderen das Denken in Bewe
gung bringt. Vom Ausgangspunkt eigener
Erfahrungen der TeilnehmerInnen werden
allgemeine Eigenschaften, z. B. für den Begriff
Transparenz, abstrahiert. Diese werden wie
derum auf konkrete Situationen angewandt.
Am Ende des Prozesses soll der gesuchte Be
griff konkret definiert, von allen anerkannt
und mit Erfahrungen verbunden sein.
Bei der Abgrenzung vom philosophischen zu
einem therapeutischen Gespräch gehe es
P
„nicht um die Art des Problems, denn es kann
der Sinn des Lebens, Treue oder wahre
Freundschaft verhandelt werden. Es geht um
die Art der Bearbeitung. Die Philosophische
Praxis arbeitet nicht an der Person und ihren
Gefühlen, sondern an der Sache“, stellt Romizi
fest. Als Nebenwirkung klarer Gedanken kann
mehr Wohlbefinden die angenehme Folge
eines philosophischen Gesprächs sein.
Die Teilnehmenden des Universitätslehrgangs
haben meist Philosophie studiert und in den
Branchen Medizin, Bildung, Recht, Manage
ment oder Unternehmensberatung Fuß ge
fasst. Oft haben sie dabei Sehnsucht nach tie
fen Gedanken und philosophischen Fragen.
ÄrztInnen sind vielleicht mit der Frage nach
einem guten Leben, nach dem Grund für
Schmerzen, Krankheit und Tod konfrontiert,
JuristInnen mit der Frage nach Gerechtigkeit,
Strafe oder Redlichkeit. All diese Fragen
können in der Philosophischen Praxis gut
bearbeitet werden.
Der Universitätslehrgang „Philoso
phische Praxis“ ist die erste und einzige
universitare (Aus-)Bildung im deutsch
sprachigen Raum und richtet sich an
Personen mit Philosophiekenntnissen.
Er kombiniert vertiefte theoretische
Grundlagen mit supervidierten
Übungen und einem philosophisch-
praktischen Projekt. Der komprimierte
Prasenzunterricht ermöglicht eine
berufsbegleitende Teilnahme.
PHILOSOPHIE IN
DER PRAXIS
Es wird eine
Frage oder Sache
vertieft, geklärt und
analysiert, nicht
die Person und ihre
Gefühle. Besseres
Wohlbefinden ist oft
eine Nebenwirkung.
Donata Romizi